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Sie stehen seit einigen Jahren markant in der offenen Gegend, die raumgreifenden Skulpturen von Ludwig Maria Vongries. Bewusst sind sie vom Künstler in ein ihm bekanntes Umfeld gesetzt, das ihm gegenüberliegt. Hier finden sie eine Kraft, dem Betrachter eigene Weg in ihre landschaftlichen Details zu öffnen und helfen ihm dabei, ihren besonderen Charakter zu entdecken. So holen sie alles Fremde ins Vertraute ein, vielleicht sogar in heimatliche Gefühle.

Diese Zeichen zeigen sich in vertrauten Materialien, in Holz und Eisen und wenig anderem. Es sind abstrakte künstlerische Äußerungen. Weder formulieren sie eine Aussage noch irgendeine Illustration. Sie stehen einfach da. Im Detail kühl. In der Form warm. Behauenes Holz. Geschmiedetes Eisen. Im Rohen belassen. Sie stehen fest am Ort und überlassen sich Zeit und Natur. Dem Altern und Rosten. So stehen sie einfach da - und sind, was sie sind. Stumme Zeichen, doch nicht ins Eigene verschlossen, vielmehr zeigen sie sich, mit den Augen aufgenommen, leicht-beredt im Blick.

Denn eines ist anders. Von ihnen geht eine einnehmende Wirkung aus. So wie sie sich zeigen, erwecken sie beim Betrachter schnell Beachtung und Gefallen. Sie wirken nicht fremd. Und lässt das Auge sich erst auf sie ein, entstehen schnell Interesse, Beziehung und Vertrautheit. Das hängt mit dem Charakter einer guten abstrakten Skulptur zusammen: „Sie klärt Raumerfahrung und definiert Zeit. Erwägungen und Gefühle für Balance, Labilität und Stabilität stellen sich ein“ - wie mir einmal Ansgar Nierhoff (1941-2010), der erste Künstler, den ich in Köln ausstellen durfte, klar und präzise erklärte. Und darin liegt denn auch die Chance derer, die sich darauf einlassen. Darauf sollte jede kritische Würdigung hinweisen, mehr nicht. Den Rest macht der Mensch in ihrem Umfeld – so er sie anschaut und sich mit ihnen Mühe macht.

Diese Kunst von Ludwig Maria Vongries realisiert in ihrer geistigen Selbständigkeit und Verschlossenheit jenes Stück gestalteter Erkenntnis, auf deren Mobilisierung der einzelne wie die Gesellschaft insgesamt heute angewiesen ist. Sie verweist den Betrachter nicht nur auf seine Beziehung zur Kunst, sondern auch auf sich selbst und auf seine Dialogfähigkeit mit sich, mit seinesgleichen und mit der Natur in seiner Umwelt.

Auf zwei materiellen Linien gestalten sich die formbetonten, gegenstandslosen  Skulpturen, auf Holz und Eisen. Ersteres ist ein Rohstoff der Natur und spielt in der Kunstgeschichte durch alle Kulturen hindurch eine, eine dominante, tragende Rolle. Es ist leicht zu beschaffen liegt bei der Gestaltung leicht in der Hand und lässt sich leicht zu bearbeiten. Freilich, in der Dauer macht es einige Probleme, aber sie sind zu bewältigen. Als Naturstoff ragt es bei jedem Menschen in dessen Alltag, Geschmack und ästhetisches Empfinden hinein.

Das ist beim Eisen anders. In der Kulturgeschichte steht es früh als alternatives Material zur Verfügung. In der Wahrnehmung nicht minder zur Hand, aber eher alternativ und speziell. Es hält dem Feuer stand, ist härter und symbolisiert in der Wahrnehmung im Unterschied zum Holz der Erfahrung des Bodenständigen und Bodenlastigen. Es steht für die Gravidität der Welt und des Lebens. Beide Aspekte bestimmen die Welt von Ludwig Maria Vongries. Es sind konzeptionelle Antagonismen, mit deren plastischer Wirkung dieser Künstler die Dinge, aber auch das Verhältnis des Menschen und Dinge anklingen lässt. Dieser Künstler versteht sie als künstlerische, bildhauerische Kategorien, mit denen er auf die Entwicklung eigener Beziehungen zum Betrachter aus ist. In ihrer Evidenz und Einfachheit springt leicht der ‚Funke‘ über, und der Betrachter versteht sie mit seinen Augen als Brücken in seine eigene Welt und ihrer Erinnerung, ästhetisch wie gesellschaftlich. Mit der Arbeit geht es ihm letztlich um die Organisation des Umfeldes, dass sie den Raum aufteilen, beleben und zu strukturieren vermögen. Und doch bleibt immer auch ein Überschuss für das Persönliche, Erzählerisch poetische.

Die relative Leichtigkeit des Holzes und die Schwere von Eisen und Stahl entsprechen als Material der Selbstverständlichkeit, mit der sich die Arbeiten schließlich an einem Ort einfinden. Die abstrakte ‚Sprache‘ der Komposition korrespondiert mit der vielgliedrigen, mit ihrer Umgebung kommunizierenden Vernetzungen und Verortungen ihrer Positionen. Das Ergebnis ist dann für sehr viele Menschen nie anstößig, wohl aber anstoßend: Die Arbeiten ziehen eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich, lenken aber dann durch die Klarheit ihrer Form und ihrer Weise zu sein, den Blick auf das Umfeld und vermitteln die verblüffende Erfahrung, einen bestimmten Raum und Umraum auf eine ganz neue Weise wahrzunehmen. Sie entschlüsseln den Blick. Sie sind - obwohl ganz und gar gegenständliche Skulptur - Tore zur Wahrnehmung. Das schätze ich an ihnen vor allem.

Die Kunst von Ludwig Maria Vongries hat für mich die Eigenschaft, dass sie nicht nur sich selbst präsentiert, sondern dass sie auch anderes entdecken lässt, das der normale Zeitgenosse nicht mehr sieht, bzw. nicht mehr zu sehen gelernt hat. Es ist ein Sehen aus dem Kontrast, ein dialektisches Begreifen, das erst im Erfassen einer kunstbegeisterten Zweiheit zur Wahrnehmung der jeweiligen Einheit freigesetzt wird.

Alle seine Arbeiten  prägen auf je eigene Weise die Räume, in denen sie aufgestellt sind; ja, durch ihre bloße unbedingte Präsenz befragen sie die räumlichen und inhaltlich definierbaren Bedingungsfaktoren ihrer Umgebung und vermögen in den geistigen Prozessen, die sie auslösen, deren einzelne Faktoren offenzulegen. Darin besteht das Aktive, Ansprechende und Impulsgebende dieser Werke. In ihren Bann wird schließlich auch der Betrachter selbst hineingenommen.

 

                                                                                             Friedhelm Mennekes